Entsteht Kunst durch Arbeit?
Kunst entsteht zunächst durch Wahrnehmungsleistungen auf Seiten der Kunstproduzent/innen und der –rezipient/innen. Dazwischen steht die gedankliche und handwerkliche Verarbeitung von Wahrnehmungen und vorgefundenem Stoff durch Künstler/innen und die Veröffentlichung des Geschaffenen. Kunst zielt auf eine Vielzahl von Fähigkeiten der Rezipient/innen ab: auf Wissen, auf Erfahrung, auf die Emotion, auf die Spiritualität, auf den Humor, auf Empathie...: „Das Kunstwerk selbst ist ein lebenssprühendes, magisches und exemplarisches Objekt, das uns der Welt offener und reicher zurückgibt.“
Kunst fordert Zeit und Aufmerksamkeit von den Rezipient/innen und konkurriert dadurch mit anderen Lebensbereichen, vor allem mit jenem der Reproduktion.
Wird ein weiter Begriff von Arbeit angewandt, spricht alles dafür, künstlerische Tätigkeit als „Arbeit“ zu qualifizieren. Begabung und Einfallsreichtum mögen Voraussetzungen für gute Ergebnisse der künstlerischen Arbeit sein, sie ersetzen diese jedoch nicht.
Kunst und Arbeit – ein kurzer historischer Abriss
Dass Künstlerinnen und Künstler seit jeher ein kleines Stück außerhalb der Gesellschaft stehen, ist für die Vergangenheit wie für die Gegenwart belegbar. Dieses Außenseitertum reicht allerdings von einem speziell privilegierten Status bis hin zu einem regelrechten ausgestoßen Sein. Stets hat sich dieser Status auch am Arbeits- und Erwerbsbegriff der jeweiligen Gesellschaften festgemacht. Plato schätzte die Subsistenz- und die Reproduktionsarbeit gering, das war für ihn Sklaven-, Handwerker- und Händlerarbeit – alle drei des Bürgers nicht würdig, der sich edleren und wichtigeren Dingen widmete: der Politik, der Entwicklung des Gemeinwesens, aber auch der Kunst, die untrennbarer Teil des Gemeinwesens war. Kunst bedeutete nicht Erwerbsarbeit wie jene von Bauern oder Händlern (sie brachte ja auch kein Geld ein), sie war Dienst an der Gemeinschaft der Bürger und Quelle spiritueller Erfahrungen.
Im Hochmittelalter war Kunst in erster Linie Ausdruck der theologischen Lehre und der Spiritualität. Bilder (Ikonen) wurden verehrt weil sie, nach der Lehre der Kirche, wie ein Fenster zum Himmel einen Blick ins Jenseits zulassen. Als Transportmittel der christlichen Lehre hat die Kunst auch im zentral- und west-europäischen Mittelalter eine Sonderstellung, die vor allem in der Baukunst und in der bildenden Kunst zum Ausdruck kommt. Sie war unverzichtbar als Medium der christlichen Ideologie, die ihrerseits als Kitt der mittelalterlichen Gesellschaft fungierte. Dementsprechend lebten Künstler/innen nicht von ihrer Kunst als Erwerb sondern sie wurden von Gemeinden, von Klöstern und von Feudalherren erhalten.
Im Barock wurde Kunst in erster Linie zu Repräsentationszwecken der weltlichen Macht eingesetzt. Auch da galten Künstler/innen mehr als Medium, denn als arbeitende Menschen. Für ihren physischen Unterhalt waren die Fürsten zuständig, die Repräsentanten des Staates und hauptsächlichen Nutznießer der künstlerischen Tätigkeit.
Ab der Renaissance erfolgen regelmäßige Rückbesinnungen auf Kunststile und Arbeitsweisen früherer Epochen, auf den Menschen selbst, seine Geschichte und Spiritualität.
Erst mit der Entstehung einer Bürgergesellschaft im 19. Jahrhundert wandelte sich auch die Künstler/in äußerlich zur Bürger/in, die - wie jede/r andere – Werke herstellte um des Erwerbs willen. Die Repräsentationszwecke, denen sie weiterhin dienten waren bescheidener, der Kreis der Nutzer/innen größer. Nur wurde (und wird nach wie vor) ihre Arbeit von vielen nicht als Arbeit im eigentlichen Sinn angesehen, weil sie (fälschlicherweise!) nicht mit dem Schweiß, dem Fleiß in Verbindung gebracht wird sondern mit der Liederlichkeit und der mühelosen Nutzung von Talent oder gar Genie. Der Genius (Schutzgeist) arbeitet nicht, wie kein körperloses Wesen arbeiten kann. Im 20. Jahrhundert wird – nicht zuletzt durch die Entwicklung des Urheberrechts – die Verwertung künstlerischer Arbeit zum Geschäft und die Kunst somit als Erwerbszweig durchaus populär. Ihr Erscheinungsbild und ihre Zwecke sind breit geworden: sie dient nach wie vor der Repräsentation, neuerdings der Propaganda, die hier schlicht Weiterentwicklung und Verschmelzung von Repräsentation und Medium gesehen werden kann. Sie dient auch der Unterhaltung – und damit dem Geschäft – , der Bildung – seit der Weimarer Klassik – und immer noch der Spiritualität und der Kontemplation. Doch immer noch gilt: „Kunst [...] ist ein Alibi für die bürgerliche Unmoral.“ Anders ausgedrückt: Kunst ist für den Staat, was der Körper für die Kirche ist.
Doch das gilt nicht mehr für den Staat des 21. Jahrhunderts.
Sind Künstler/innen mittlerweile Arbeiter/innen geworden? Das Urheberrecht gibt ihnen seit ungefähr 110 Jahren Einkünfte aus ihrer Arbeit, die als geistiges Eigentum dem Schutz des Urheberrechts unterliegt. Als Erwerbstätige in die Pflichtversicherung einbezogen wurde ein Teil der Künstler/innen (bildende Künstler/innen) schon 1958 – durch die erste Novelle des 1956 in Kraft getretenen ASVG. Bald darauf bezog man – zu viel schlechteren Bedingungen – auch die Musiker/innen in die Pflichtversicherung ein. Doch die allgemeine Versicherungspflicht für Künstler/innen kommt erst im 21. Jahrhundert: mit 1.1.2001. Ob der ideologische Hintergrund dieser politischen Entscheidung die Anerkennung künstlerischer Tätigkeit als Arbeit war, sei dahin gestellt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Leistungsabbau der Sozialversicherungssysteme schon begonnen, der politische Hintergrund kann ebenso gut in der Suche nach neuen Beitragszahler/innen gesehen werden, die mehr beitragen als sie voraussichtlich an Leistungen beziehen werden können. 2003 kam der erste „Österreichische Kreativwirtschaftsbericht“ heraus, in dem weniger die künstlerische Arbeit selbst einen wirtschaftlich anerkannten Stellenwert bekommt, sondern vielmehr die wirtschaftliche Verwertung künstlerischer und kreativer Leistungen.
Ist Kultur Leistung im Wirtschaftlichen Sinn?
Kultur (lat. cultura) bedeutete ursprünglich „Pflege“, primär des Geistes aber auch des Körpers. Später im Kontext mit dem Landbau wurde das Wort „colere“, das ursprünglich etwa „emsig beschäftigt sein“ (kultivieren) im Sinn von bebauen, (be-)wohnen, pflegen, ehren verwendet. Im weiten Sinn umfasst der Begriff Kultur heute die Gesamtheit der menschlichen Leistungen. Dies schließt einerseits physische Dinge, wie Werkzeuge ein, aber auch die durch den Menschen hervorgerufene Veränderung der Natur, die geistigen Hervorbringungen der Menschheit wie Schrift und Kunst sowie die sozialen Organisationsformen, in denen die Menschen zusammenleben (staatliche Organisation, Rechtspflege). Der Begriff der Kultur steht insofern dem Begriff der Zivilisation nahe und umfasst die sie erhaltende menschliche Arbeit. Der Begriff wird einerseits generell auf die Menschheit als ganzes bezogen, andererseits aber auch als Zusammenfassung der Lebensumstände einer bestimmten Ethnie oder Region (beispielsweise die maghrebinische Kultur) oder einer historischen Phase (z.B. die minoische Kultur). Frühe Kulturen haben entscheidend mit der gesellschaftlichen Praxis der Ernährung ihrer Träger tun (Jäger- Hirten/Nomaden- oder Bauernkultur).
"Kultur ist soziale Ordnung, welche schöpferische Tätigkeiten begünstigt. Vier Elemente setzen sie zusammen: Wirtschaftliche Vorsorge, politische Organisation, moralische Traditionen und das Streben nach Wissenschaft und Kunst. Sie beginnt, wo Chaos und Unsicherheit enden. Neugier und Erfindungsgeist werden frei, wenn die Angst besiegt ist, und der Mensch schreitet aus natürlichem Antrieb dem Verständnis und der Verschönerung des Lebens entgegen."
Im engeren Sinne versteht man unter Kultur folgende Bereiche: Sprache, Literatur, Religion und Ethik, Medizin, Kunst, Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung und Rechtsprechung.
Wissenssoziologisch könnte man eine Kultur auch als das einem Kollektiv gemeinsame "Wissen" bezeichnen, das heißt als die im Bewusstsein seiner Mitglieder verankerten Erwartungen hinsichtlich üblicher Verhaltensweisen, Werthaltungen, sozialer Deutungsmuster und Weltbilder die von Kulturschaffenden entwickelt und zu Allgemeingut wurden. Kultur ist insofern natürlich Leistung im volkswirtschaftlichen Sinn, noch viel mehr aber innerhalb entwickelter Gesellschaften conditio humana.
Kulturarbeit
Diese Erörterung des Kulturbegriffs ist hilfreich, um ihn mit einem aktuellen Verständnis der Begriffe von Arbeit und Produktivität in Verbindung zu bringen. So gesehen ist Kultur jener Lebensbereich, der über die unmittelbaren Notwendigkeiten der Subsistenz, Reproduktion und Konsumtion hinausgeht, entspricht also eher dem Wesen der Postproduktivität. Die unmittelbare Ursache von kultureller Produktion ist der Überfluss, der es über die Alltagsnotwendigkeiten hinaus erlaubt, bestimmte Ressourcen der Innovation und der Entwicklung zu widmen. Eine arbeitsteilige Gesellschaft hält sich dafür auch Spezialist/innen in unterschiedlichen Fachbereichen, doch ist die kulturelle Produktion keineswegs auf diese beschränkt.
Interessenvertretungen, die sich für Basis-Kulturarbeit (auch Soziokultur) einsetzen, streben eine Ausweitung der kulturell produktiven Kreise an. Auch in diesem Zusammenhang bringt die Kulturarbeit keineswegs nur künstlerische Produkte von Künstler/innen und Kulturschaffenden hervor. Sie ermöglicht und unterstützt immer auch Mitsprache, Partizipation und Empowerment.
Der Wirkungsbereich der Kulturarbeit zielt insofern direkt auf die zivilisatorische Entwicklung ab. Nur im engeren Sinn beinhaltet die Kulturarbeit das Veranstalten: Künstler/innen Auftritte zu organisieren, der Wohnbevölkerung zur eigenen kulturellen Artikulation zu verhelfen und auch passive Teilhabe am kulturellen Leben zu ermöglichen.
Prinzipien dieser freien Kulturarbeit sind die Autonomie, die Unabhängigkeit von Parteien, Religionsgemeinschaften und Gebietskörperschaften, Diversität, politischer Antirassismus, Netzwerkarbeit und Internationalismus.
Beispielhaftes zu Arbeit, Produktivität und Postproduktivität im Kulturbereich Eine Künstler/in schafft ein Werk. Dieses Werk ist zunächst lediglich ein kultureller Wert, hat noch keinen Tausch- oder Geldwert und erhält dennoch ohne weiteren Akt als Kunstwerk einen bestimmten Status und den Schutz durch das Urheberrecht.
Eine Kunsthändler/in schleust dieses Werk in den Kreislauf des Warentausches ein (darin besteht ihre Arbeit), damit erhält das Werk erst Geldwert. Wer hat den „Wert“ geschaffen? Wenn dieses Werk eine Vielzahl von „Verwertungen“ im Sinn des Urheberrechts erfährt, entwickelt es sich zu einem Goldesel, der weit über die urheberrechtlichen Schutzfristen hinaus Gold speien kann, das allerdings nur zu einem kleineren Teil in den Taschen der ursprünglichen Schöpfer/in landet. Künstlerische Produktivität steht in Konkurrenz zur Produktion von Kopien von Kunstwerken. Was bedeutet Grundeinkommen für die Künstlerische produktivität?
Meine These ist, dass ein bedarfsunabhängiges Grundeinkommen der künstlerischen Produktivität einen Schub verleihen würde. Mit künstlerischen Produkten Geld zu verdienen, ist eine Arbeit, die Künstler/innen gerne delegieren. Sie fühlen sich selbst durch das Vermarkten ihrer Produkte von ihrer eigentlichen Aufgabe abgehalten. Der Verdienst von Künstler/innen liegt weit unter dem Durchschnitt, während ihr Bildungsgrad weit darüber liegt. Der Verzicht auf ein durchschnittliches Einkommen erfolgt also aufgrund einer bewussten Wahl für ein Arbeitsfeld, das jede Menge kulturelle Werte produziert, jedoch relativ wenig an Geldwert.
Wären Künstler/innen der Notwendigkeit der Vermarktung enthoben und könnten von einem Grundeinkommen leben, würden sie frei gewordenen Kapazitäten vor allem in den Ausbau und die Verfeinerung ihrer künstlerischen Arbeit investieren. Veröffentlicht würden die Arbeiten dennoch, zu einem guten Teil jedoch nicht innerhalb der gängigen Vertriebsschienen.
Was wünschen sich Künstler/innen und Kulturarbeiter/innen?
Die Mehrheit der Künstler/innen und Kulturarbeiter/innen befürwortet die Einführung eines bedarfsunabhängigen Grundeinkommens. Dies ergibt z.B. eine Erhebung aus 2002, die von mehreren Interessenvertretungen im Bereich Kunst und Kultur durchgeführt wurde. Frauen halten tendenziell noch mehr davon als Männer. Indessen ist die Skepsis, ob eine politische Umsetzung dieses Zieles gelingen kann, überaus groß.
Literatur:
Arendt, Hannah (1967): Vita Activa oder vom tätigen Leben. München (R. Piper Verlag) Engler, Wolfgang (2005): Bürger ohne Arbeit. Für eine radikale Neugestaltung der Gesellschaft. Berlin (Aufbau-Verlag). Hesse, Genevieve (2003): Die Arbeit nach der Arbeit. Für eine emotionale Erweiterung des Arbeitsbegriffs; in: Arbeit als Lebensstil Hrsg. Von Alexander Meschnig und Mathias Stuhr. Frankfurt am Main (Suhrkamp Verlag). IG Freie Theaterarbeit (Hrsg), (2002): GIFT. Vereinsmitteilungen. Wien. Sontag, Susan (1980): Kunst und Antikunst. 24 literarische Analysen. München Wien (Carl Hanser Verlag). Wedekind, Frank (1906): Das Sittengemälde. Musik. München.