Stadt Graz: Evaluierung der Kulturförderung

In der ersten Hälfte des Jahres 2011 hat Tasos Zembylas (Musikuniversität Wien) von der Stadt Graz den Auftrag für die Evaluierung erhalten. Er hat mich zur Mitarbeit eingeladen, der Bericht ist ein Gemeinschaftswerk.
2013 habe ich für die Stadt Graz den Stand der Umsetzung der Evaluierungsempfehlungen untersucht. Die Ergebnisse ("Umsetzungsstudie") sind auf dem Kulturserver der Stadt Graz veröffentlicht.
2014 habe ich gemeinsam mit Doz. Dr. Monika Mokre nach Möglichkeiten gesucht, die Arbeit der Fachbeiräte für die unterschiedlichen Kulturtsparten zu erleichtern und zu verbessern. Kernarbeit war ein Workshop mit den Fachbeiratsmitgliedern, die selbst am besten wissen, wo die Probleme liegen und wo die Stärken. Es wurden aber auch darüber hinaus gehende Empfehlungen abgegeben.

Zusammenfassung der wichtigsten Empfehlungen

Der Staat als kulturfördernde Instanz unterstützt nicht nur kulturelle Initiativen, sondern beeinflusst auch maßgeblich die Struktur des Kulturbetriebs und die Entfaltung künstleri- scher und zivilgesellschaftlicher Entwicklungen. Die kommunale Förderungspolitik generiert also beabsichtigte und nicht-beabsichtigte Effekte, die in diesem Bericht thematisiert werden:
1. In Graz hat sich eine große Förderungsasymmetrie zwischen öffentlichen Kulturbetrieben und privaten, nicht-gewinnorientierten Kulturorganisationen etabliert – der Anteil der För- derung öffentlicher Kulturbetriebe in der Sparte Darstellende Kunst liegt bei 95%, in der Bildenden Kunst bei 90% und in der Sparte Literatur bei 81%. Insgesamt bekommen die Kulturorganisationen, an denen Graz Allein- oder Mitgesellschafter ist, 85% aller kommuna- len Kulturausgaben. Dieser Anteil ist größer als in Wien, Linz, Salzburg, Innsbruck und Bregenz. Die negativen nicht-intendierten Effekten der hohen Konzentration der Förderungs- mittel auf die stadteigenen Kulturorganisationen sind Wettbewerbsverzerrung, Innovations- hemmung und Entwicklungsverhinderung durch Unterdotierung aller anderen Bereiche. Es empfiehlt sich ein über mehrere Jahre bewerkstelligter Transfer einer substantiellen Förder- summe von der Theaterholding und dem Kunsthaus zum Förderbudget der nicht-staatlichen Fördernehmer. Mehr dazu siehe S.17f., 25, 65-68.
2. Graz hat einige große Kulturorganisationen mit internationaler Ausstrahlung und viele sehr kleine Organisationen. Der „Mittelbau“, das sind Organisationen mit einem Budget von mindestens 300.000 €, fehlt weitgehend. Aber gerade solche Organisationen sind in der Lage, innovative Projekte und experimentelle Versuche aus Graz, die zuerst in kleineren Kon- texten gezeigt werden, aufzugreifen und diese einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren, und zwar lange bevor sie von den großen Kulturflaggschiffen wahrgenommen werden. Die Entwicklung des „Mittelbaus“ wird jedoch durch die bestehende Förderungsasymmetrie und die quasi Monopolstellung der „Majors“ verhindert. Mehr dazu siehe S.18, 34, 67.
3. Die Förderung von Innovation und nachhaltiger Entwicklung in Kunst und Kultur wird durch die stillschweigende Wirksamkeit des sogenannten Senioritätsprinzips konterkariert. Damit ist gemeint, dass die Höhe der Förderung einer Organisation tendenziell in einer posi- tiven Relation zum Alter dieser Organisation steht. Mehr dazu siehe S.26, 53, 71.
4. Institutionelle Fördernehmer mit ein- oder mehrjährige Förderverträgen sollten künftig nur „all-inclusive“-Anträge stellen dürfen. Denn Projektförderungen sind ein Förderinstru- ment, das für FörderwerberInnen mit geringerem Institutionalisierungsgrad entwickelt wurde. Mehr dazu siehe S.26, 72.
5. Direkt produktionswirksame Förderungen für Projekte und Einzelpersonen (derzeit anteilsmäßig bei 10% von jenen Förderungsmitteln, die an wirklich Private gehen) dürfen nicht weiter sinken. Sie stimulieren das Kreativpotenzial der Kunst- und Kulturproduktion und Eröffnen einen kulturpolitischen Gestaltungsspielraum für die Stadt. Anzustreben ist ein wesentlich höherer Anteil. Mehr dazu siehe S.54, 69f.
6. Neuere Kunstformen (z.B. experimentelle Musik, Medienkunst, performative Formen wie Tanz) könnten stärker gefördert werden, denn diese Formen sind vom Marktversagen am intensivsten betroffen. Zur Verbesserung ihrer öffentlichen Wahrnehmung und Wert- schätzung sind Kunstkritik und Kunstdiskurs unabdingbar. Mehr dazu siehe S.58f., 75. 6
7. Für kommerzielle, selbsttragende Kulturveranstaltungen besteht keine Fördernotwen- digkeit. Eine genauere Analyse und betriebswirtschaftliche Gesamtbetrachtung der größeren institutionellen Fördernehmer sowie eine strengere Kontrolle der Abrechnung (insbesondere der gewinnorientierten GmbHs) ist empfehlenswert. Mehr dazu siehe S.59f. 82.
8. Der Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse der KünstlerInnen und Kulturschaffenden hat mehrere Gründe. Die kommunale Kulturpolitik kann durch verschiedene Maßnahmen, die auf die Ursachen solcher Fehlentwicklungen abzielen, die soziale und ökonomische Situation der Kulturschaffenden verbessern und somit Graz als attraktiven Arbeitsplatz für Kreative festigen. Mehr dazu siehe S.25f., 73f., 76.
9. Generell könnten Angebote, die die interkulturelle Verfasstheit der Gesellschaft themati- sieren, stärker gefördert werden. Mehr dazu siehe S.18f., 74f. Auch Angebote im Bereich Kinder- und Jugendförderung sind in manchen Sparten rar. Dort, wo solche Angebote fehlen, könnte die Kulturpolitik z.B. mittels Ausschreibung selbst Anreize schaffen. Mehr dazu siehe S.29, 54, 70f.
Die politische Kompetenz für Kultur wird vorwiegend zwischen dem Finanzressort, das für die Finanzierung der stadteigenen Kulturorganisationen zuständig ist, und dem Kultur- ressort, welches das Förderwesen administriert, geteilt. Viele Probleme der Kulturförde- rungspolitik liegen auf der Allokationsebene, also in der Grundstruktur der Verteilung der Fördermittel (siehe z.B. Punkt 1, 2 und 8). Daher ist eine sehr enge Zusammenarbeit und geteilte Verantwortungsübernahme durch beide Ressorts unabdingbar. Nur so können die großen Themen und Herausforderungen der Kulturpolitik effektiv gelöst werden.

Hier der gesamte Bericht Kulturserver

 
 

 

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