Kultur als soziales Bindemittel

Vortrag auf Einladung der Tiroler Küsntlerschaft zur Eröffnung der Ausstellung "Soziales und Kunst".

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich freue mich sehr über diese Einladung und die Gelegenheit, über Kultur als „soziales Bindemittel“ zu sprechen. Die Tiroler Künstlerschaft zeigt mit ihrer Ausstellung „Soziales und Kunst“ und mit dieser Auftaktveranstaltung, dass diese These zutrifft: Kultur schafft sozialen Zusammenhalt. Und Kunst ist ein entscheidender Teil der Kultur, sie löst regelmäßig Debatten und Diskussionen aus. Damit meine ich weniger die Erregung über Kunst, sondern das Thematisieren und Darstellen von Problemen („Ritzen“ von Elfriede Jelinek bis Böhse Onkelz, Theaterstück des Linzer Autors Walter Kohl...) Alle Kunstsparten tun dies und wirken damit in der Öffentlichkeit wie im Privaten.

Und: was ist eigentlich das Soziale? Es soll ja Leute geben, welche seine Existenz negieren „There is no such thing as society“ sagte Margret Thatcher. Sie war der Meinung, es gebe nur den Staat und die Familie – den Verwaltungszusammenhang und den Gefühlszusammenhang. Entsprechend konsequent hat Thatcher den Falklandkrieg genutzt, um staatlichen Zusammenhalt zu schaffen, denn sonst hat sie gegen Ende ihrer Amtszeit nicht viele Möglichkeiten gesehen, die Menschen bei der Stange zu halten. Ich verwende hier die Begriffe „Soziales“ und „Gesellschaft“ als Synonyme, denn von der Idee, dass Kunst und Kultur eine Art kostengünstige Sozialarbeit seien, will ich mich hier gleich ganz deutlich distanzieren, auch wenn die Kulturforschung der EU mitunter gern in diese Richtung tendiert.

Nein, ich beziehe mich mit der Behauptung, dass Kunst und Kultur sozialen Zusammenhang schaffen, schlicht auf die Tatsache, dass beides öffentlich stattfindet, ja nicht nur das – sie schaffen Öffentlichkeit. Und diese Öffentlichkeit ist der Raum, wo das Soziale sich entwickelt und lebt. Öffentliche Räume haben nicht immer eine öffentliche Funktion – leider. Es gibt öffentliche Räume, die im Sinn einer Öffentlichkeit vollkommen verloren sind. Zum Beispiel ein großer Teil des Straßenraums, speziell das so genannte hochrangige Straßennetz. Autobahnen dienen nur der Passage, im gesellschaftlichen Sinn sind sie tot. Je niedriger der „Rang“ einer Straße, desto eher hat sie öffentliche Funktion: In Fußgängerzonen, in Wohnstraßen finden die Interaktion und der Austausch zwischen Menschen statt, die Gesellschaft konstituieren. Können Sie sich Kunst oder künstlerische Arbeit im Autobahntunnel vorstellen? Nun, völlig undenkbar ist es natürlich nicht. Vor kurzem hat ein Künstler in Bregenz einen Tunnel gestaltet, allerdings handelt es sich um einen ehemaligen Tunnel der Wälderbahn, der heute Teil des Radwegenetzes in Bregenz ist. Doch ich warne Sie: Danilo Ortiz hat gelitten und gefroren bei der Arbeit. Der Künstler hat mit seinem Werk im Tunnel ein Statement zum Irak-Krieg geschaffen und damit sind wir gleich beim Thema „Aushandeln von Bedeutungen und Bewertungen“, von dem die Studie von Tasos Zembylas spricht, zu der ich auch gleich komme.

Zuvor noch eine kurze Reflexion zu diesem Ort – dem Kunstpavillon im Hofgarten. Dem Namen „Hofgarten“ entnehme ich, dass es sich ursprünglich um einen kaiserlichen, geschlossenen Garten gehandelt hat, also nicht um einen öffentlichen Raum wie heute. Auch wenn es wohl die Vorkämpfer/innen der Republik und nicht (nur) Künstler/innen waren, die diesen Garten und den Pavillon zu einem öffentlichen Raum gemacht haben, so sind es heute doch die Künstler/innen, die ihm eine öffentliche Funktion geben: ihretwegen kommen Leute her, um z.B. eine Debatte über Soziales und Kunst zu führen.

Kehren wir zurück zu Kunst und Kultur, zur schon erwähnten Studie: „Weil Kultur ein Katalysator von kollektiven Interaktionen ist, das heißt von Aushandlungsprozessen über Bedeutung und Bewertungen, hat sie im positiven Sinn eine gesellschaftliche Funktion: sie ist das Bindemittel des Sozialen. Wir behaupten, dass ohne kulturellen Austausch zwischen den Mitgliedern einer politischen Gemeinschaft kein formelles Gebilde wie der Staat lange überleben kann. Staatliche Institutionen und Organisationen allein haben keine integrative und gemeinschaftsbildende Kraft. Komplexe und heterogene Gesellschaften brauchen intensive kulturelle Produktivität, plurale Rezeption und interkulturelle Foren, die ihnen Kohäsion und Vitalität verleihen.“

Das schreiben Tasos Zembylas und Meena Lang in ihrer Studie „Gut sein, besser werden. Kulturverwaltung als normative und administrative Herausforderung“ im September 2008.

Dieser Absatz ist so dicht, dass ich ihn gern ein bisschen auseinander nehmen möchte, damit klar wird, was hier gesagt ist. Ein Katalysator bringt eine (Re)Aktion in Gang oder beschleunigt sie, ohne dabei selbst verbraucht zu werden. Werte und Ziele (Sinn) können also auf niedrigem Energieniveau kollektiv ausgehandelt werden, ohne dass dabei etwas verloren ginge (im Gegenteil, sage ich in Klammer dazu). Deshalb fördern auch alle Staaten der Welt in irgendeiner Form Kultur. Nun will ich nicht den Fehler begehen, von Werten zu sprechen ohne sie konkret zu benennen, das ist ein Privileg konservativer Politiker/innen, die dann mit Werten immer das „Hausfrauenmodell“ oder ähnliches meinen, das aber nicht konkret benennen wollen.

Nein, ein grundlegender Wert in unserer Gesellschaft, den wir mühsam erkämpft haben und immer noch erkämpfen, ist das Individualrecht und die Gleichheit vor dem Gesetz. Dieser Wert wurde in der französischen Revolution erstritten. Statt dem König und den Ständen gab es danach Bürger (von Bürgerinnen war noch kaum die Rede) mit bestimmten Bürgerrechten, die sie individuell wahrnehmen konnten. Der Code Civil, der 1804 von Bonaparte, einem Produkt der Revolution, eingeführt wurde, setzte die Rechtsgleichheit aller Franzosen fest. Wer genau hinsieht, bemerkt darin zwei wichtige Grundsätze: das Individuum hat Rechte (wenngleich nur das männliche), und diese Individuen sind vor dem Gesetz gleich, sie haben alle dieselben Rechte. In Österreich hat 1811 das ABGB vergleichbare Grundsätze festgelegt. Was bedeuten diese neuen Rechte nun konkret: z.B. können zwei Individuen auf gleicher Augenhöhe einen Vertrag, z.B. einen Kaufvertrag aushandeln und, wenn ein Vertragspartner ihn nicht einhält, gibt es die Möglichkeit, vor einem Gericht zu klagen und die Vertragserfüllung durchzusetzen. Das gilt grundsätzlich für alle Lebensbereiche. In Klammer muss ich hinzufügen, dass dieses allgemeine und gleiche Recht für Frauen viel später kam: In Österreich konnten Frauen erst ab 1975 frei Verträge abschließen, z.B. einen Arbeitsvertrag, denn davor konnte ein Mann seiner Ehefrau die Berufstätigkeit untersagen.

Springen wir in die Gegenwart, 1975 ist ja auch schon eine Weile her, und schauen uns diesen in der Verfassung garantierten Wert der Gleichheit, in dem ja der Gerechtigkeitsgedanke drin steckt, in der Praxis an. Ich möchte Ihnen jetzt von einem Rechtsstreit, der zurzeit vor dem Bezirksgericht in Wels stattfindet, erzählen. Ich bin dazu befugt, weil der involvierte Künstler Heinz Kasper aus Oberösterreich selbst plant, an die Öffentlichkeit zu gehen und dafür alle sich bietenden Kanäle nützen will. Im Jahr 2003 hat die Salinen Austria AG eine Ausschreibung veranstaltet, um die künstlerische Gestaltung eines Schaubergwerks in Altaussee vorzubereiten. Es handelt sich um ein einschlägig bekanntes, zum größten Teil stillgelegtes Salzbergwerk, in dem während des 2. Weltkrieges u.a. Schätze aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien gelagert wurden. Im Jahr 2004 wurde das Bergwerk ausgestaltet, nachdem eine Jurysitzung stattgefunden hatte, keines der eingereichten Projekte ausgewählt worden war und die Einreicher/innen nur mit Mühe ihre Unterlagen zurück erhalten hatten. Heinz Kasper stellte bei einem Besuch des Schaubergwerks Anfang des Jahres 2005 fest, dass viele Teile seines Konzepts einfach umgesetzt worden waren, ohne Rücksprache mit ihm. Er bat mich als eingetragene Sachverständige für Urheberfragen zu klären, ob die teilweise Umsetzung seines Konzepts ein Plagiat darstellte. Also habe ich mir Ende 2005 das Bergwerk angeschaut und stellte fest, dass Teile der Konzeption Heinz Kaspers detailgenau abgekupfert waren, als Sujets auf den Eintrittskarten und einem Straßentransparent prangten und auch sonst Teile des Konzepts realisiert worden waren. Das schrieb ich auch in meinem Gutachten nieder. Der Künstler trat dann mit einem spezialisierten Anwalt in Kontakt (Michel Walter mit Namen), der auf Basis von Verfahrenshilfe (der Künstler ist nicht reich) Klage einbrachte. Auch die strafrechtlichen Aspekte des Urheberrechts wurden genutzt, Hausdurchsuchungen durchgeführt etc). Im April dieses Jahres fand die erste mündliche Verhandlung über den zivilrechtlichen Aspekt statt, deren Verlauf den Künstler gelinde gesagt frustrierte: die Beklagte Salinen Austria AG stritt das Plagiat ab, aussagekräftige Unterlagen (z.B. das Konzept des angeblichen wahren Urhebers) wurden als verloren angegeben. Die Richterin versuchte einen Vergleich zu erreichen. Das wurde von der Beklagten abgelehnt. Es gibt noch kein Urteil. Ich rechne damit, dass die Richterin feststellen wird, dass Urheberrechte des Künstlers verletzt worden sind. Eigentlich muss sie das tun, schon aufgrund meines Gutachtens, dann hätte der Künstler Anspruch auf das Doppelte seines Honorars, das er erhalten hätte, wenn ihm die Salinen sein Konzept oder einen Teil davon abgekauft hätten. Doch gegen ein solches Urteil werden die Salinen berufen, haben ihre Vertreter schon angekündigt. Zwei weitere Instanzen gibt es.

Wo liegt nun das Problem? Wo ist die Gleichheit vor dem Gesetz Chimäre?

  1. Die Dauer – mehr als 5 Jahre sind seit der Rechtsverletzung verstrichen, ohne dass es ein Urteil gibt 2. Die finanziellen Ressourcen – auch wenn der RA den Künstler auf der Basis von Verfahrenshilfe betreut und der ihn nicht bezahlen muss: falls er (auch nur teilweise) unterliegt, muss er zumindest teilweise die vom Gericht nach Tarif festgesetzten gegnerischen Anwaltskosten tragen 3. Die Qualität – offenbar schalten auch seriöse Rechtsanwälte bei Verfahrenshilfe, wo sie gratis arbeiten, auf den Spargang. Das geben sie auch freimütig zu. Dabei soll die Verfahrenshilfe Ebenbürtigkeit herstellen.

Das sind jetzt nur drei Hauptprobleme, es gibt noch weitere. Der Künstler Heinz Kasper wird wohl im Verlauf des Sommers das Thema „Gleichheit vor dem Gesetz“ öffentlich zur Debatte stellen – mit künstlerischen und publizistischen Mitteln. Damit wird er ein Stück weit zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen, der verloren geht, wenn das „Recht des Stärkeren“, das „Recht des Reicheren“ gegenüber der Rechtsgleichheit der Individuen in den Vordergrund tritt. Man kann sich nur solidarisch zu einer demokratischen Gesellschaft bekennen und so den Zusammenhalt produzieren, wenn die garantierten Rechte auch durchsetzbar sind.

Nun, es gibt aber auch schlichtere Themen, die dennoch nicht weniger wichtig sind, mit der die Kultur ihre Bindemittel-Funktion wahrnimmt. Ich komme zurück zum „öffentlichen“ Straßenraum: Sie kennen das in Tirol sicher auch. In Vorarlberg wurde im vergangenen Winter ein 8 km langes Stück Straße eröffnet. Es hat 130 Mio Euro gekostet – das sind 10 Jahre operatives Kulturbudget in Vorarlberg. Danach hätte ich wirklich geglaubt, im kleinen Vorarlberg ist alles an Straßen gebaut, was gebraucht wird. Doch nein! Soeben hat meine Geburtsstadt Feldkirch den Bau eines Straßentunnels beschlossen (von denen sie bereits drei hat). Kostenpunkt 160 Millionen (für das erstgenannte Projekt waren übrigens „nur“ 48 veranschlagt gewesen).

Jetzt frage ich Sie: was sind das für Verhältnisse für Dimensionen? Zum einen: versuchen Sie doch einmal, das Zweieinhalbfache der geplanten Summe an öffentlichen Mitteln für Ihr Projekt zu bekommen. Zum anderen: weniger als die Hälfte der Bevölkerung sind Autofahrer/innen. Immerhin die Hälfte der Bevölkerung nutzt nach deutschen Untersuchungen Kulturangebote. Also dürfen wir mit Fug verlangen, dass gerade die Länder, die ja eine tatsächliche Kulturkompetenz besitzen, ihre Budgets umgewichten. Sonst muss einem ja der Verdacht kommen, dass ein/e Autofahrerin mehr Gewicht hat als ein/e Nutzer/in von kulturellen Angeboten. Auch das wäre nach dem zuvor geschilderten Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz problematisch. Wir dürfen uns nicht nur eine kulturelle Infrastruktur wünschen (neben einer Verkehrsinfrastruktur, neben einer Gesundheitsinfrastruktur, Bildung etc.) – wir werden den öffentlichen Raum auch mit diesem Thema besetzen.

Wir werden die Debatte dazu führen und ausbreiten dorthin, wo sie noch nicht geführt wird. Mit den Herren Flecker, Pühringer und Wallner, den für Kultur zuständigen Landesregierungsmitgliedern in der Steiermark, in Oberösterreich und in Vorarlberg, habe ich das schon angeschnitten (und bislang keinen freudigen Respons erhalten). Das kann niemanden überraschen. Doch wir bleiben an den Dingen dran: Sie mit Ihrer Debatte SoKu und alle anderen mit den Projekten, an denen sie gerade arbeiten.

Vielen Dank.

Studie

 
 

 

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