Verbrannte Erde oder doch blühende Wiesen? Gute Gründe, nicht Kulturhauptstadt werden zu wollen

 

Dornbirn in einer Reihe mit San Sebastiàn, Wrocław (Breslau), Aarhus, Paphos, Leeuwarden, Valetta, Matera und Plowdiw? Das werden die Kulturhauptstädte 2016 bis 2019 sein, das steht schon fest. 2015 sind es Plzeň (Pilsen) und Mons.

Und in einer Reihe mit Graz 2003 und Linz 2009? Also Dornbirn 2024 gemeinsam mit einer noch nicht bekannten estnischen Stadt? Keinesfalls aber in einer Reihe mit Wien, Rom, London, die niemals Kulturhauptstädte Europas werden, es aber dennoch sind?

Hat Dornbirn den „schlechten Ruf“, der die ideale Voraussetzung dafür ist, dass es Kulturhauptstadt Europas wird?* Dann wäre es – vielleicht – in guter Gesellschaft mit St. Pölten, nicht unbedingt aber mit Innsbruck und Bregenz, die sich ebenfalls eine Bewerbung überlegen für 2024.

Und damit sind wir beim Kern der Fragen, die wir uns in Dornbirn stellen müssen. Die Kulturhauptstädte Europas sind seit 1999, der zweiten Phase, ein Stadtentwicklungstool. Nur mehr wenige Kapitalen erhielten seither den Titel und zwar fast nur solche, die es dringend brauchten. Kulturhauptstadt werden seither herunter gekommene Städte, die Anschub brauchen (z.B. Lille und Liverpool) und solche, die man nicht in erster Linie mit „Kultur“ verbindet (Essen, Umeå, Marseille), wo „City-Branding“ die Stadt neu als Kulturstadt positionieren will. Dass Kultur nicht die erste und auch nicht die zweite Assoziation mit der Stadt ist, trifft zweifellos ja auch auf Dornbirn zu.

Wer mit glänzenden Augen an die rund 70 Millionen Euro denkt, die üblicherweise für eine Kulturhauptstadt ausgegeben werden, sollte auch an deren Aufbringung denken. Denn das Geld kommt ja nicht aus dem Nirgendwo in die Kulturhauptstadt geflogen. Es muss an Ort und Stelle, in der Region und auf nationalstaatlicher Ebene aus den knapper werdenden Budgets gequetscht werden. Natürlich könnte man sich auch eine Kulturhauptstadt mit 25 Millionen überlegen...

Über deren Verteilung entscheiden üblicherweise Intendanten (Kulturmanager), die mit der Abwicklung beauftragt werden. In Graz war dies der frühere ORF-Unterhaltungsintendant Wolfgang Lorenz, in Linz der Schweizer Kulturmanager Martin Heller. Über die zu erreichenden Ziele sollten im Idealfall zeitgerecht die zuständigen politischen Gremien entscheiden – und das nach reiflicher Überlelgung und nach sehr viel öffentlicher Diskussion.

Wenn es also um Stadtentwicklung und City-Branding geht, müssen wir uns die Frage stellen: Brauchen wir das? Wollen wir das?

Dornbirn wächst und bewegt sich stetig und gar nicht langsam auf 50.000 Einwohner/innen zu, eine längerfristige Prognose lässt 70.000 erwarten. Es ist also eine Stadt mit beträchtlicher Anziehungskraft, die wohl in erster Linie auf der wirtschaftlichen Stärke und der zentralen Lage im Ballungsraum Rheintal beruht. Wollen wir schneller wachsen? Wohl kaum, der Vorsprung gegenüber den anderen Zentren im Rheintal bleibt. Die Infrastruktur muss Zeit haben, mit zu wachsen. Auch Stadtplanung benötigt die Zeit zur Reflexion über das Erreichte und das Erwünschte.

Die letzten Branding-Versuche gingen nicht in Richtung Kultur. Wir waren „Gartenstadt“ und sind es vielleicht immer noch – ohne jedoch bislang große Gartenausstellungen an Land gezogen zu haben. Wir wollen „Wirtschaftsstadt mit hoher Lebensqualität“ sein, was immer das genau heißt. Wollen wir jetzt unser Image in Richtung Kulturstadt verändern und entwickeln? Ist das die „hohe Lebensqualität“, von der die Rede ist? Der Begriff kommt in mehr als einem Leitbild der Stadt vor (z.B. auch im Umweltleitbild), wird aber nicht genauer beleuchtet.

Im aktuellen Kulturleitbild werden folgende Ziele definiert:

  • Stärkung eines unverwechselbaren kulturellen Profils der Stadt Dornbirn
  • Belebung und Gestaltung von öffentlichen Räumen
  • Verbesserung der räumlichen Infrastruktur für kulturelle und künstlerische Nutzungen
  • Erhaltung und Stärkung der Vielfalt der Kulturen und künstlerischen Aktivitäten sowie Förderung der interkulturellen Kommunikation

Etwas verschämt wird in der „Extro“ des Kulturleitbildes ein weiteres Ziel genannt:

  • Prüfung einer Bewerbung von Dornbirn und regionalem Umfeld als Europäische Kulturhauptstadt 2024.

Ein unverwechselbares kulturelles Profil gibt es derzeit nicht. Bevor es also „gestärkt“ werden kann, muss eines gefunden und beschrieben werden. Wurden Ansätze dazu 2005 an den „4 A's“ angelehnt (Alltagskultur, Alternativkultur, Avantgarde, Architektur – auf „Tanz“ beginnend mit „T“, wurde verzichtet), so sind in der Neuauflage des Kulturleitbildes 2015 immer noch Alltagskultur und Architektur präsent, dazu aber auch Industriekultur sowie Kunst und Kultur im öffentlichen Raum. Ein paar weitere, nicht näher erläuterte Schlagwörter, tragen zur Profilierung nichts bei.

Die Alternativkultur ist in erster Linie durch den Spielboden präsent, ist er doch eine der ältesten Kulturinitiativen im Land, die sich seit vielen Jahren (nach schwierigen Phasen am Beginn) durchaus der Wertschätzung der Politik erfreut, jener des Publikums und der Künstler/innen sowieso. Die vielversprechenden Ansätze zum Wachstum (z.B. duch das Vielfaltenarchiv) wurden zu spät wahrgenommen, die Politik ließ sie ziehen (und bemüht sich erst seit kurzem zögerlich um Rückholung). Der Wert der Tanz- und Zirkusinitiativen wird ebenso wenig erkannt und gewürdigt.
Die Avantgarde wohnt im Flatzmuseum und im Kunstraum, sie beschränkt sich auf die bildende Kunst.
Architektur ist institutionell über das vielfältige Wirken des Vorarlberger Architekturinstituts präsent und abseits davon natürlich in den Gebäuden der Stadt und in einer lebendigen Vermittlungsarbeit.

Die Industriekultur schleicht sich über das Bekenntnis der Landesregierung zu einem Industriemuseum ein, obschon sie baulich natürlich schon lange da ist und durch die Aktivitäten des Bundesdenkmalamtes ein Stück weit gewürdigt wird.
2008 hat die Kunst im öffentlichen Raum einen Rückschlag erlitten, indem mit Impuls ein jährliches Ereignis der höchsten Qualität im öffentlichen Raum beendet wurde. Auch da war den politisch Verantwortlichen offenbar nicht bewusst, welche Perle sie sich entgleiten lassen.

Das alles erfordert Überlegung, Auseinandersetzung und diskursive Reibungsflächen, damit nicht zur Unzeit und ohne die notwendigen Fragen zu stellen entschieden wird. Bevor wir wissen, dass wir – wenn überhaupt – mit Friedrichshafen kooperieren wollen, müssen wir uns die Fragen stellen:

Wie wollen wir leben? Was heißt Lebensqualität? An welche Nachbarn wollen wir näher heranrücken? Und das sind nur drei von hundert Fragen.

* Ulrich Fuchs im "Parnass" 1/2015, S. 89

Syndication: 

Aktivitaet: