Künstlerische Arbeit - immer schon prekär?

Dokumentation meines Workshops beim Feministischen Wissenschaftskongress im Oktober 2007 in Bregenz - erschienen auch in Nr. 1/2008 der "AEP-Informationen. Feministische Zeitschrift für Politik und Gesellschaft"

Künstlerische Arbeit – immer schon prekär? Der Status von Künstlerinnen und Künstlern hat sich im Lauf der Geschichte stark verändert. Zu einer fast „normalen“ bürgerlichen Existenz fanden sie erst im 20. Jahrhundert, doch da endete diese auch schon wieder, weil die bürgerliche Existenz als solche obsolet zu werden scheint. Künstlerinnen vertreten – wie von der Kunst gegenwärtig gefordert – radikale gesellschaftliche und künstlerische Positionen. Doch weder auf dem Kunstmarkt noch im Bereich der öffentlichen Förderung findet dies Anerkennung im Sinn von Gleichstellung mit männlichen Kollegen - allen Frauenkunstberichten zum Trotz. Die immer schon prekäre künstlerische Existenz ist den weiblichen Künstlerinnenbiografien noch stärker eingeschrieben als den männlichen.

Was bedeutet „Prekarität“, was bedeutet „Demokratie“? So geläufig uns beide Begriffe sind, so oft wir sie verwenden – so notwendig ist es, sich über Wortwurzel und Inhalt im Klaren zu sein. Dass in der „Prekarität“ das lateinische Wort „praeces“ = „Bitten“ steckt, zeigt, wie gut der Begriff gewählt ist. Denn er beschreibt damit die Situation sehr genau: statt auf rechtlich abgesicherte Ansprüche und Forderungen, wie sie im Arbeits- und Sozialrecht festgelegt sind, können prekär Beschäftigte sich nur auf wiederholte Bitten stützen: die Bitte um (bezahlte) Arbeit, die Bitte um faire Bedingungen, die Bitte um weitere Aufträge etc. Dass die Bitten oft vergeblich sind, ist bekannt.

„Kratein“ – „herrschen“ soll „demos“ – das „Volk“. Dieser Schlachtruf klingt so klar und eindeutig, dass die Frage, wer denn dieses Volk sei, leicht überschrieen wird. Doch für Frauen, die in Österreich erst mit der Republikwerdung volle bürgerliche Rechte zugestanden bekommen haben, ist diese Klärung natürlich von Bedeutung. Denn auch die vollen bürgerlichen Rechte beinhalteten die eine oder die andere Falle für Künstler/innen. Das Schauspielergesetz von 1927 hat in Bezug auf die Einhaltung von Verträgen verheirateten Schauspielerinnen andere Möglichkeiten gegeben als unverheirateten – in der Praxis haben damit jedoch die Ehemänner besondere Rechte bekommen.

„Demokratie“ bedingt immer die Definition des „Staatsvolks“, womit auch festgelegt wird, wer nicht dazu gehört. Derzeit gehören Künstler/innen ohne österreichischen Pass jedenfalls nicht dazu. Das Fremdenrechtspaket von 2005 hat zudem die Möglichkeit der Niederlassung für Künstler/innen so gut wie unmöglich gemacht, obschon der prekäre Status von Künstler/innen seit langem damit zusammenhängt, dass sie ein „fahrendes Volk“ sind und sein müssen. Ob die Künstler/innen mit gemeint sind, wenn ein/e Politiker/in von den „arbeitenden Menschen in diesem Land“ (Gusenbauer, 2006) spricht?

Da die Freiheit der Kunst ein in der österreichischen Bundesverfassung proklamiertes Rechtsgut ist, kann das Fremdenrecht diese Freiheit „eigentlich“ nicht einschränken. Ehe die Freiheit der Kunst einer bestimmten Künstlerin durch einfache Bundesgesetze liquidiert wird, müsste zumindest eine sorgfältige Abwägung verschiedener zu schützender Rechtsgüter vorgenommen werden (was vereinzelt in Urteilen auch schon geschehen ist).

Ist Kunst überhaupt Arbeit? Kunst entsteht zunächst durch Wahrnehmungsleistungen auf Seiten der Kunstproduzent/innen und der –rezipient/innen. Dazwischen steht die gedankliche und handwerkliche Verarbeitung von Wahrnehmungen und vorgefundenem Stoff durch Künstler/innen und die Veröffentlichung des Geschaffenen. Kunst zielt auf eine Vielzahl von Fähigkeiten der Rezipient/innen ab: auf Wissen, auf Erf ahrung, auf die Emotion, auf die Spiritualität, auf den Humor, auf Empathie...: „Das Kunstwerk selbst ist ein lebenssprühendes, magisches und exemplarisches Objekt, das uns der Welt offener und reicher zurückgibt.“ (Sontag, 1982)

Kunst fordert viel Zeit von den Künstler/innen (etwas weniger von den Rezipient/innen) die durch Genuss und Äußerungswunsch strukturiert sein mag, in der jedoch vor allem viel geleistet werden muss („Leistung“ = Energieaufwand pro Zeiteinheit).

Es spricht alles dafür, künstlerische Tätigkeit als „Arbeit“ zu qualifizieren, auch im aktuell diskutierten Sinn von Produktivität und Postproduktivität (Füllsack, 2004). Begabung und Einfallsreichtum mögen Voraussetzungen für gute Ergebnisse der künstlerischen Arbeit sein, sie ersetzen jedoch nicht die Arbeitsleistung.

Kunst und Arbeit – ein kurzer historischer Abriss Dass Künstlerinnen und Künstler seit jeher ein kleines Stück außerhalb der Gesellschaft stehen, ist für die Vergangenheit wie für die Gegenwart belegbar. Dieses Außenseitertum reicht allerdings von einem speziell privilegierten Status bis hin zu einem regelrechten ausgestoßen Sein. Stets hat sich dieser Status auch am Arbeits- und Erwerbsbegriff der jeweiligen Gesellschaften festgemacht. Plato schätzte die Subsistenz- und die Reproduktionsarbeit gering, das war für ihn Sklaven-, Handwerker- und Händlerarbeit – alle drei des Bürgers nicht würdig, der sich edleren und wichtigeren Dingen widmete: der Politik, der Entwicklung des Gemeinwesens, aber auch der Kunst, die untrennbarer Teil des Gemeinwesens war. Kunst bedeutete nicht Erwerbsarbeit wie jene von Bauern oder Händlern (sie brachte ja auch kein Geld ein), sie war Dienst an der Gemeinschaft der Bürger und Quelle spiritueller Erfahrungen.

Im Hochmittelalter war Kunst in erster Linie Ausdruck der theologischen Lehre und der Spiritualität. Bilder (Ikonen) wurden verehrt weil sie, nach der Lehre der Kirche, wie ein Fenster zum Himmel einen Blick ins Jenseits zulassen. Als Transportmittel der christlichen Lehre hat die Kunst auch im zentral- und west-europäischen Mittelalter eine Sonderstellung, die vor allem in der Baukunst und in der bildenden Kunst zum Ausdruck kommt. Sie war unverzichtbar als Medium der christlichen Ideologie, die ihrerseits als Kitt der mittelalterlichen Gesellschaft fungierte. Dementsprechend lebten Künstler/innen nicht von ihrer Kunst als Erwerb sondern sie wurden von Gemeinden, von Klöstern und von Feudalherren unterhalten.

Im Barock wurde Kunst in erster Linie zu Repräsentationszwecken der weltlichen Macht eingesetzt. Auch da galten Künstler/innen mehr als Medium, denn als arbeitende Menschen. Für ihren physischen Unterhalt waren die Fürsten zuständig, die Repräsentanten des Staates und hauptsächlichen Nutznießer der künstlerischen Tätigkeit.

Ab der Renaissance erfolgten regelmäßige Rückbesinnungen auf Kunststile und Arbeitsweisen früherer Epochen, auf den Menschen selbst, seine Geschichte und Spiritualität.

Erst mit der Entstehung einer Bürgergesellschaft im 19. Jahrhundert wandelte sich auch die Künstler/in äußerlich zur Bürger/in, die - wie jede/r andere – Werke herstellte um des Erwerbs willen. Die Repräsentationszwecke, denen sie weiterhin dienten waren bescheidener, der Kreis der Nutzer/innen größer. Nur wurde (und wird nach wie vor) ihre Arbeit von vielen nicht als Arbeit im eigentlichen Sinn angesehen, weil sie (fälschlicherweise!) nicht mit dem Schweiß, dem Fleiß in Verbindung gebracht wird sondern mit der Liederlichkeit und der mühelosen Nutzung von Talent oder gar Genie. Der Genius (Schutzgeist) arbeitet nicht, wie kein körperloses Wesen arbeiten kann.

Im 20. Jahrhundert wird – nicht zuletzt durch die Entwicklung des Urheberrechts – die Verwertung künstlerischer Arbeit zum Geschäft und die Kunst somit als Erwerbszweig durchaus populär. Ihr Erscheinungsbild und ihre Zwecke sind breit geworden: sie dient nach wie vor der Repräsentation, neuerdings der Propaganda, die hier schlicht Weiterentwicklung und Verschmelzung von Repräsentation und Medium gesehen werden kann. Sie dient auch der Unterhaltung – und damit dem Geschäft – , der Bildung – seit der Weimarer Klassik – und immer noch der Spiritualität und der Kontemplation. Doch immer noch gilt: „Kunst [...] ist ein Alibi für die bürgerliche Unmoral.“(Wedekind, 1906). Anders ausgedrückt: Kunst ist für den Staat, was der Körper für die Kirche ist.

Sind Künstler/innen mittlerweile Arbeiter/innen geworden? Das Urheberrecht gibt ihnen seit ungefähr 110 Jahren Einkünfte aus ihrer Arbeit, die als geistiges Eigentum dem Schutz des Urheberrechts unterliegt. Als Erwerbstätige in die Pflichtversicherung einbezogen wurde ein Teil der Künstler/innen (bildende Künstler/innen) schon 1958 – durch die erste Novelle des 1956 in Kraft getretenen ASVG. Bald darauf bezog man – zu viel schlechteren Bedingungen – auch die Musiker/innen in die Pflichtversicherung ein. Doch die allgemeine Versicherungspflicht für Künstler/innen kommt erst im 21. Jahrhundert: mit 1.1.2001. Ob der ideologische Hintergrund dieser politischen Entscheidung die Anerkennung künstlerischer Tätigkeit als Arbeit war, sei dahin gestellt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Leistungsabbau der Sozialversicherungssysteme schon begonnen, der politische Hintergrund kann ebenso gut in der Suche nach neuen Beitragszahler/innen gesehen werden, die mehr beitragen als sie voraussichtlich an Leistungen beziehen werden können. 2003 kam der erste „Österreichische Kreativwirtschaftsbericht“ heraus, in dem weniger die künstlerische Arbeit selbst einen wirtschaftlich anerkannten Stellenwert bekommt, sondern vielmehr die wirtschaftliche Verwertung künstlerischer und kreativer Leistungen.

Ist Kultur Leistung im Wirtschaftlichen Sinn? Kultur (lat. cultura) bedeutet ursprünglich „Pflege“, primär des Geistes aber auch des Körpers. Später im Kontext mit dem Landbau wurde das Wort „colere“, das ursprünglich etwa „emsig beschäftigt sein“ bedeutete, im Sinn von bebauen, (be-)wohnen, pflegen, ehren verwendet. Im weiten Sinn umfasst der Begriff Kultur heute die Gesamtheit der menschlichen Leistungen. Dies schließt einerseits physische Dinge, wie Werkzeuge ein, aber auch die durch den Menschen hervorgerufene Veränderung der Natur, die geistigen Hervorbringungen der Menschheit wie Schrift und Kunst sowie die sozialen Organisationsformen, in denen die Menschen zusammenleben (staatliche Organisation, Rechtspflege). Der Begriff der Kultur steht insofern dem Begriff der Zivilisation nahe und umfasst die sie erhaltende menschliche Arbeit. Der Begriff wird einerseits generell auf die Menschheit als ganzes bezogen, andererseits aber auch als Zusammenfassung der Lebensumstände einer bestimmten Ethnie oder Region (beispielsweise die maghrebinische Kultur) oder einer historischen Phase (z.B. die minoische Kultur). Frühe Kulturen haben entscheidend mit der gesellschaftlichen Praxis der Ernährung ihrer Träger zu tun (z.B. Nomaden- oder Bauernkultur).

"Kultur ist soziale Ordnung, welche schöpferische Tätigkeiten begünstigt. Vier Elemente setzen sie zusammen: Wirtschaftliche Vorsorge, politische Organisation, moralische Traditionen und das Streben nach Wissenschaft und Kunst. Sie beginnt, wo Chaos und Unsicherheit enden. Neugier und Erfindungsgeist werden frei, wenn die Angst besiegt ist, und der Mensch schreitet aus natürlichem Antrieb dem Verständnis und der Verschönerung des Lebens entgegen" (Durant, 1978). Im engeren Sinne versteht man unter Kultur folgende Bereiche: Sprache, Literatur, Religion und Ethik, Medizin, Kunst, Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung und Rechtsprechung.

Wissenssoziologisch könnte man eine Kultur auch als das einem Kollektiv gemeinsame "Wissen" bezeichnen, das heißt als die im Bewusstsein seiner Mitglieder verankerten Erwartungen hinsichtlich üblicher Verhaltensweisen, Werthaltungen, sozialer Deutungsmuster und Weltbilder die von Kulturschaffenden entwickelt und zu Allgemeingut wurden. Kultur ist insofern natürlich Leistung im volkswirtschaftlichen Sinn, noch viel mehr aber innerhalb entwickelter Gesellschaften conditio humana.

Kulturarbeit und Interessenvertretung Diese Erörterung des Kulturbegriffs ist hilfreich, um ihn mit einem aktuellen Verständnis der Begriffe von Arbeit und Produktivität in Verbindung zu bringen. So gesehen ist Kultur jener Lebensbereich, der über die unmittelbaren Notwendigkeiten der Subsistenz, Reproduktion und Konsumtion hinausgeht. Die unmittelbare Ursache von kultureller Produktion ist der Reichtum, der es über die Alltagsnotwendigkeiten hinaus erlaubt, bestimmte Ressourcen der Innovation und der Entwicklung zu widmen. Eine arbeitsteilige Gesellschaft hält sich dafür auch Spezialist/innen in unterschiedlichen Fachbereichen, doch ist die kulturelle Produktion keineswegs auf diese beschränkt.

Interessenvertretungen, die sich für Basis-Kulturarbeit (auch Soziokultur) einsetzen, streben eine Ausweitung der kulturell produktiven Kreise an. Auch in diesem Zusammenhang bringt die Kulturarbeit keineswegs nur künstlerische Produkte von Künstler/innen und Kulturschaffenden hervor. Sie ermöglicht und unterstützt immer auch Mitsprache, Partizipation und Empowerment – nicht nur der Kulturschaffenden!

Der Wirkungsbereich der Kulturarbeit zielt insofern direkt auf die zivilisatorische Entwicklung ab. Nur im engeren Sinn beinhaltet die Kulturarbeit das Veranstalten: Künstler/innen Auftritte zu organisieren, der Wohnbevölkerung zur eigenen kulturellen Artikulation zu verhelfen und auch passive Teilhabe am kulturellen Leben zu ermöglichen.

Prinzipien dieser freien Kulturarbeit sind die Autonomie, die Unabhängigkeit von Parteien, Religionsgemeinschaften und Gebietskörperschaften, Diversität, politischer Antirassismus, Netzwerkarbeit und Internationalismus.

Kulturarbeit und Demokratie Projekte, die auf Wissensvermehrung, Transparenz, Vernetzung und Partizipation abzielen, kurz: Projekte, welche ganz allgemein die Lebensumstände (für alle) demokratisieren, verbessern damit gleichzeitig die Arbeits- und Lebensbedingungen von Künstlerinnen und Kulturschaffenden. In der Künstlerin sind zumindest zwei soziale „Hemmschuhe“ kompiliert: das Frausein und das Ausüben eines wenig anerkannten Berufs. Individuell mag noch Einiges dazu kommen.

So sind Künstlerinnen einerseits „Rolemodel“ für die Deregulierung des Arbeitsmarkts und Vorhut des freien, kreativen Unternehmertums im Sinn von Hartz (2001), die dem „kreativen Imperativ“ unterliegen (ihr Leben lang). Andererseits sind sie mit ihren Interessenvertretungen Vorkämpferinnen für die alten Werte der Aufklärung: Gleichheit, Freiheit, Solidarität.

Literatur:

Arendt, Hannah (1967): Vita Activa oder vom tätigen Leben. München (R. Piper Verlag) Durant, James William (1978): Kulturgeschichte der Menschheit, 18 Bände, München. Engler, Wolfgang (2005): Bürger ohne Arbeit. Für eine radikale Neugestaltung der Gesellschaft. Berlin (Aufbau-Verlag). Füllsack, Manfred (2002): Leben ohne zu arbeiten? Zur Sozialtheorie des Grundeinkommens. http://homepage.univie.ac.at/manfred.fuellsack/ Hartz, Peter (2001): Job Revolution. Wie wir neue Arbeitsplätze gewinnen können. Frankfurt (Verlag der FAZ). Hesse, Genevieve (2003): Die Arbeit nach der Arbeit. Für eine emotionale Erweiterung des Arbeitsbegriffs; in: Arbeit als Lebensstil Hrsg. Von Alexander Meschnig und Mathias Stuhr. Frankfurt am Main (Suhrkamp Verlag). Sontag, Susan (1980): Kunst und Antikunst. 24 literarische Analysen. München Wien (Carl Hanser Verlag). Wedekind, Frank (1906): Musik. Ein Sittengemälde. München.

 
 

 

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