Die Tendenz zur Radikalisierung im Netz ist Thema in traditionellen Medien. So auch in den Vorarlberger Nachrichten, die mich dazu interviewt hat (Download). Die Algorithmen der VLOPS (Very Large Online Platforms) zeigen uns, was wir sehen wollen und bestärken unsere bestehenden Ansichten. Sie wollen ein positives Lebensgefühl vermitteln, weil wir dann eher die zwischen den Posts und Stories geschaltene Werbung wahrnehmen. Ihr Ziel ist es, dass wir möglichst viel interagieren und lange auf der Plattform bleiben weil dann der Werbplatz teurer verkauft werden kann.
Wir waren als Internetpioniere in den 1990er Jahren begeistert von den Möglichkeiten, die das Netz uns bietet. Wir glaubten, einen idealen Kommunikationsraum schaffen zu können, in dem wir Themen ausdiskutieren und Enstcheidungen fällen. Mit Web4Groups oder Online Bürgerbeteiligungsprojekten hatte ich aktiv versucht, Plattformen und Services mitzugestalten. Doch die hyperkapitalsierten Technologiekonzerne hatten das bessere Konzept, um Leute an sich zu binden. Und zwar, indem wir in kleinen Dosen Anerkennung und Aufmerksamkeit vermittelt bekommen. Das ist vielen Menschen offenbar wichtiger, als so manch anderes Grundbedürfnis. Konsens zu suchen oder einen Konsent zu erarbeiten ist mühsam und ist oft mit einem persönlichen Sich-Zurücknehmen verbunden. Also weniger lustig, als sich von Shorts auf Insta oder Youtube unterhalten zu lassen.
Die Lage im Nahost ist komplex. Die verschleppte Zweistaatenlösung, also die Anerkennung eines Palästina, ist eine der Ursachen für die Eskalation. Die Landbesetzungen durch Siedler provoziert einen Konflikt mit Völkern, die dort schon lange sind, der nur politisch gelöst werden kann, um ihn zu beenden. Doch das zu verstehen benötigt eine Auseinandersetzung mit der Geschichte und ein Aufeinander zugehen aller Parteien und ein teilweisen Verzicht auf religiöse Dogmen. Soziale Medien schaffen dies derzeit kaum, ein Verständnis für andere Positionen zu vermitteln. Die Dialektik ist hieri aber der einzige Weg - Thesen und Antithesen abwägen und zu einer Sythese finden. Ein Videostrom mit schrecklichen Bildern vom aktuellen Kriegsgeschen schafft dies wohl eher nicht.
Klingt altmodisch, aber ich denke, es braucht wirklich wieder mehr persönlichen Austausch, Stammtischgespräche, Debattierclubs und Fishbowl Diskussionen. Jetzt müssen wir uns nur noch überlegen, wie wir Leute dazu motivieren können. Vielleicht in Kombination mit dem Vermitteln realer Anerkennung. Dazu gibt es ja einige Methoden etwa aus der Soziokratie. So eine Gesprächsrunde beginnt oft mit einem "Schön, dass du da bist" - das ist doch schon mal was.
Und es braucht tatsächlich auch alternative Soziale Medien, die uns nicht per Algorithmus in einer Echokammer unterhalten. Sondern wo ich Menschen folgen kann die mich interessieren und deren Posts ich auch einfach nicht kommentieren muss. Das Fediverse ist dazu die richtige technologische Antwirmort und ich bin auf dem fairmove Mastodon Server mit dabei.