Die süßen Seiten Europas

Wer sich sich am 9. Mai im Rahmen des Projekts "Café d'Europe" in diversen Kaffehäusern mit Kultur schmückt, sollte auch die im Kulturbereich anstehenden Aufgaben auf nationaler Ebene in Angriff nehmen.

Die süßenSeiten Europas - es gibt sie tatsächlich, auch wenn sie zwischen neoliberaler Ideologie der EU-Kommission und national(istisch)er Schuldzuweisungspolitik der Regierungen oftmals zerbröselt werden.

Ich spreche nicht von der Kultur, nicht von Mehlspeisen – nicht von den Genüssen, die wir weder Politik noch Verwaltung verdanken. Ich spreche von den eigentlichen Handlungsfeldern der europäischen Integration und ihrer politischen Repräsentant/innen.

Thema Good Governance: Die EU hat immerhin Anstrengungen unternommen, ein paar Voraussetzungen für eine bürgerfreundliche Verwaltung zu schaffen und zwar im Rahmen des Verfassungsprojekts. Im Artikel II-41 heißt es da: „Jeder Mensch hat ein Recht darauf, dass seine Angelegenheiten von den Organen [...] der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden. Dieses Recht umfasst insbesondere [...] die Verpflichtung der Verwaltung, ihre Entscheidungen zu begründen.“ Nicht dass es in der EU keine Geheimniskrämerei gäbe, doch es war ein ernst gemeinter Versuch. In Österreich hat ungefähr zeitgleich der Konvent (schon vergessen?) eine Reihe von Vorschlägen zur Verwaltungsverbesserung gemacht, einer davon war die Abschaffung der Amtsverschwiegenheit, eines Relikts nach Metternich, dessen sinnvollen Gehalt heute Datenschutz und andere Normen regeln. Statt ihrer wären Informationspflichten der Behörden gegenüber den Bürger/innen vorgesehen gewesen. Im Gegensatz zur EU-Verfassung hätte die Bundesregierung von sich aus konkrete Vorschläge des Konvents aufgreifen und ins Parlament bringen können. Doch das ist nicht geschehen.

Thema Urheberrecht: Daran hat die EU bislang mit beträchtlicher Zähigkeit gearbeitet. Der Kern eines brauchbaren Urheberrechts ist die Abwägung der Interessen der Künstler/innen, der gewerblichen Nutzer (z.B. Unterhaltungskonzerne), der Konsument/innen und der Öffentlichkeit – fast die Quadratur des Kreises. Dennoch haben EU-Richtlinien teilweise Rechte der Künstler/innen gestärkt (z.B. Folgerecht, Vermiet- und Verleihrecht). Die rechtliche Position der gewerblichen Nutzer wurde vereinfacht (z. B. mit der Rechtsdurchsetzungsrichtlinie). Auf die Interessen der Konsument/innen nimmt die EU, sofern es um Preise geht, immer Bedacht. Die Inforichtlinie räumt den Mitgliedsstaaten Gestaltungsmöglichkeiten im Sinn der Öffentlichkeit ein: für Wissenschaft, Medien, Unterricht, religiöse Zwecke etc. kann der Zugang zu Werken vereinfacht werden, die Rechteinhaber/innen sollen dafür einen „gerechten Ausgleich“ erhalten. Nun muss man sich meiner positiven Beurteilung der EU in diesem Feld nicht zu hundert Prozent anschließen, doch der Vergleich mit der nationalen Ebene fällt eindeutig aus. Als Beispiel dafür mag die Urheberrechtsgesetznovelle 2005 dienen die mit Januar 2006, teilweise erst mit Juli 2006 in Kraft tritt: das Folgerecht wurde so umgesetzt, dass es für bildende Künstler/innen nahezu folgenlos bleibt. In Bezug auf den Film wurde das bestehende Chaos verstärkt, indem unterschiedliche Regelungen für alte, mittel-alte und neue Filme eingeführt wurden - Komplikationen, die höchstens den Rechtsanwält/innen nützen. Die Einführung eines Urhebervertragsrechts – längst überfällig – wurde wiederum verabsäumt.

Thema Freizügigkeit: Die EU hat stetig Schritte gesetzt, um Bürger/innen zur Nutzung der Freizügigkeit anzuregen. Dies geschieht im Bereich der Bildung durch den Bologna-Prozess, der die Vergleichbarkeit von Bildungsabschlüssen ermöglichen soll. Dies geschieht im Kulturbereich durch eine Reihe von Kultur 2000-Projekten, welche darauf abzielen, die Mobilität von Künstler/innen zu unterstützen. Auf nationaler Ebene wird in die entgegen gesetzte Richtung gearbeitet: Künstler/innen (und Sportler/innen) unterliegen steuerlichen Sonderregelungen, die im Jahr 2005 noch einmal verschärft wurden und die den Alltag aller Einrichtungen, die ausländische Künstler/innen einladen, erheblich belasten – in administrativer wie in finanzieller Hinsicht. Die immer noch unter dem Namen „Ausländersteuer“ grassierende Abzugsteuer von 20%, für deren Abfuhr die Veranstalter haften, ist eine Art Einkommensteuer für Künstler/innen. Doch die dürfen sie nicht wie andere grenzüberschreitend arbeitende Menschen (z.B. wissenschaftlich Vortragende) in ihrem Wohnsitzland bezahlen, sie bekommen ein Fünftel ihres Honorars erst gar nicht in die Hand. Das führt manchmal zu der absurden Situation, dass Veranstalterinnen für einen begehrten Künstler die Abzugsteuer in der Praxis gleich selber (aus ihren öffentlichen Subventionen) bezahlen, weil sie Künstlerinnen nicht in die Abgründe des grenzüberschreitenden Steuerrechts hineinziehen wollen.

Wenn der Kanzler sich im Kaffeehaus mit den Federn der Kulturschaffenden schmückt und staatstragend Guglhupf verspeist, sollte ihm bewusst sein, dass er als „Kunstkanzler“ auch dafür bezahlt wird, die im Kulturbereich anstehenden nationalen Aufgaben in Angriff zu nehmen. Die europäische Idee an und für sich ist süß genug.

Der Text erschien am 6./7. Mai als "Kommentar der anderen" in der Tageszeitung "Der Standard".

 
 

 

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